"Meine Augen sehen im Dunkeln"
„Meine Augen sehen im Dunkeln“
Ich glaube, ich versuche zu verstehen oder zu lernen. Vielleicht auch zu Ver-lernen.
Ich denke, es hat etwas mit mir zu tun. Aber damit meine ich: Es hat etwas mit dir und Polen zu tun.
Die Fotografiereihe Meine Augen sehen im Dunkeln ist der Versuch meinen Kindern Pierogis zu kochen. Ich habe so vieles vergessen oder womöglich nie erlebt. Polen, das Land meiner Familie. Polen, das Land meiner Vergangenheit / ohne Bilder. Ohne Worte. Ohne Gefühl dafür.
Ich weiß nur noch, dass es Pierogis zu essen gab.
Ich habe das Gefühl, dass einzige was mir bleibt, ist dieses Essen, alles andere wurden vom Blick der Anderen gezeichnet, markiert, umgeschrieben. Ich habe keine Ahnung, wer Polen ist. Man hat mir über dich Geschichten erzählt, aber keiner hat dich sprechen lassen.
Meine Kinder sagen, es sei langweilig dort. Sie haben Recht. Da ist nicht viel und gleichzeitig habe ich Dich nicht restlos verstanden. Das werde ich wohl auch nicht.
Es hat was mit dem Ort zu tun, den Räumen, die mir verschlossen, blieben. Dort wie hier. In Deutschland war ich die Polin und in Polen die Deutsche. Ich habe mir keine Geschichte erzählt. Ich habe immer nur zugehört. Wenn ich fotografiere, verflechten sich mein persönliches Schweigen mit dem gesellschaftlichen Gewordenheiten.
Ich denke, es hat etwas mit dem Raum zu tun, den Orten, die ich angefangen habe zu öffnen.
Die Fotoserie Meine Augen sehen im Dunkel ist eine Auseinandersetzung mit meiner eigenen Familiengeschichte, doch genauso mit dem Blick einer Gesellschaft, nein, Plural: Gesellschaften, die mir und vielen anderen migrantischen Kindern eine Form von Geschichtslosigkeit anlernten. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Gehen-Müssen, dem Gehen-Wollen, dem Bleiben und dem Nicht-Zurückgehen-Können. Es hat etwas mit Raum zu tun, mit Normativen, die sich wie Gift in mich hineinfraßen.
Ich glaube, ich möchte lernen, mich selbst zu sehen.
Ich öffne die Haustüre und laufe hinein. Ich erinnere mich noch genau an den Geruch des Hausganges, wenn ich zu meinen Großeltern hinauflief. Dieser Türknauf zum Drehen. Die Tür beklebt mit Holzfolie. Das Fenster im Bad, das zur Küche hinaus geht.
Ich gehe hinaus.
Ich glaube, ich versuche zu ver-lernen. Zu fühlen: über meine blauen Augen, mein Muttermal auf der linken Seite meines Gesichts, über die Zeit, als wir dort waren, und den Ort, an den wir gegangen sind.
Es ist nicht mehr dunkel und meine Augen könnten auch braun sein. Wie die meiner Tochter.
Ich denke, ich sollte lernen, wie man Pierogis kocht.