Clara Eröd-Danzinger "WUNDER"
Ein Interview mit Clara Eröd-Danzinger zu ihrem Buch „WUNDER“
Was ist Geburt für dich?
Meine eigenen Geburtserfahrungen waren wunderbar, kraftvoll und schön. Nach der Geburt meines ersten Kindes habe ich die Qualität meiner Elternschaft lange darüber definiert wie mein Kind geboren, ernährt oder angezogen wurde. Die bindungsorientierte Blase baut einen enormen Druck auf – als ob der Geburtsmodus, welche Milch ein Kind trinkt oder ob das Kind Wolle-Seide Kleidung trägt irgendetwas darüber aussagen würde, ob es geborgen aufwächst. Irgendwann habe ich gelernt, dass “bedürfnissorientiert” bedeutet, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu sehen. Es ist wichtig zu begreifen, dass Eltern ihr Recht auf Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit nicht zu Beginn einer Schwangerschaft einfach ablegen müssen.
Was hat dir dich dazu inspiriert, ein Bilderbuch über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu schreiben?
Als ich während der letzten Schwangerschaft auf der Suche nach einem Kinderbuch für mein mittleres Kind war, habe ich gemerkt, dass die Auswahl überhaupt nicht die Vielfalt abbildet, die ich meinen Kindern vermitteln möchte. Ich habe Kinderbücher satt, in denen ausschließlich weiße, normschöne Cis-Frauen schwanger sind. Das entspricht einfach nicht der Lebensrealität vieler Gebärender und deren Kinder. Dazu kam mein Wunsch ein Buch zu gestalten indem verschiedene Geburtssituationen und Gefühle einfach nebeneinander existieren können, ohne bewertet zu werden.
Welche Botschaft möchtest du mit „WUNDER“ vermitteln, insbesondere im Hinblickauf die Darstellung des Prozesses der Entstehung neuen Lebens?
Jede Familie ist einzigartig. Jede Schwangerschaft ist unterschiedlich. Jede Geburt ist ein völlig individuelles Ereignis. Und wir alle sind Wunder!
Wie bist du bei der Auswahl der Bilder und Illustrationen vorgegangen, um die Vielfalt und diversen Ebenen dieses Lebensabschnitts angemessen darzustellen? Magst du uns bisschen was zu deinem kreativen Prozess hinter der Gestaltung des Buches erzählen?
Der erste Schritt war tatsächlich das Buch zu schreiben. Was ironisch klingt in Anbetracht der Tatsache, dass das Buch ja überhaupt keinen Text hat. Ursprünglich war auch garnicht geplant, dass ich das Buch selbst illustriere. Als die ersten Bilder entstanden sind, dachte ich immer noch, das Buch wäre vor allem für meinen kleinen Freundes- und Bekanntenkreis. Für mich war von Anfang an klar, dass ich das Buch so divers und intersektional wie möglich gestalten und möglichst viele Lebensrealitäten abbilden will. Als ich beschlossen habe es im Eigenverlag zu veröffentlichen habe ich mir Unterstützung von der Sensitivity Readerin Anna Mendel (www.annamendel.de) geholt, die das Buch auf unterschiedliche Diskriminierungsformen lektoriert hat und mir während des Entstehungsprozesses beratend zur Seite gestanden hat.
Gab es besondere Herausforderungen oder inspirierende Momente?
Die größte Herausforderung war, dass ich das Buch gestaltet habe, während mein Mann seine Masterarbeit geschrieben hat und ich die meiste Zeit über alleine mit 2 Kindern unter 2 Zuhause war. Viele der Bilder sind in der Nacht entstanden, manche am vollgeräumten Küchentisch, während das Baby geschlafen und meine Tochter ferngesehen hat und einige habe ich in vielen winzig kleinen Etappen gezeichnet. Ich werde oft gefragt, wie ich das geschafft habe und die Antwort ist meistens: Es war mir wichtig und ich habe mit meiner psychischen Gesundheit bezahlt. Aktuell bin ich damit beschäftigt mich von dieser unfassbar anstrengenden Zeit zu erholen und oft frustriert und traurig wie lange dieser Heilungsprozess dauert.
Würdest du es trotzdem wieder machen?
Ja. Ich bin unglaublich dankbar, dass es dieses Buch jetzt gibt und ich bekomme so viele schöne und bestärkende Nachrichten von Menschen, für die meine Bilder heilsam waren, die sich gesehen fühlen oder die zu mir sagen “Ey weißt du was: mit deinem Buch hab sogar ich noch was dazugelernt.” Und das ist echt ziemlich fantastisch.
Warum hast du dich dafür entschieden, das Buch als Bilderbuch zu gestalten? Welche Rolle spielen die Illustrationen deiner Meinung nach bei der Vermittlung von
Informationen und Emotionen?
Da das Buch komplett auf Text verzichtet, können alle Themen individuell und an den Entwicklungsstand der Kinder angepasst, besprochen werden. Dadurch, dass das Buch völlig ohne Text auskommt, ist es viel leichter auf Bewertungen und Geschlechtszuschreibungen zu verzichten oder in die Bilder die eigenen Geschichten und Gedanken einzubetten. Um Erwachsenen zu helfen die richtigen Worte zu finden, gibt es digitales Workbook mit ganz viel Input, das genau wie das Buch auch ein Sensitivity Reading durchlaufen hat.
Gibt es eine persönliche Erfahrung, die dich während der Recherche oder des Schreibens des Buches besonders beeinflusst hat und die du gerne teilen würdest?
Ich hatte eine komplikationslose ambulante Klinikgeburt und zwei Hausgeburten. Wie anders Geburt auch aussehen kann, habe ich vor allem durch Gespräche mit Freundinnen und über Social Media erfahren. Meine durchwegs positiven Geburtserfahrungen haben mich bestimmt beeinflusst – wichtig war mir aber auch andere Seiten abzubilden. Ich wollte auch Themen wie Schwangerschaftsverlust oder Komplikationen sichtbar machen. Manchmal denke ich, wir trauen unseren Kindern zu wenig Informationen zu. Das sind kleine schlaue Menschen, die noch viel unvoreingenommener sind als wir Erwachsenen. Wenn ich meinen Kindern sage, dass auch manche Männer schwanger werden können, weil sie einen Uterus haben, verkomplizieren sie diese Aussage nicht, sondern sagen einfach “ok”.
Hast du ein Lieblingsbild?
Das ist schwierig. Ich denke es ist das Bild mit der schlafenden Familie. Für mich zeigt das Bild die Gleichzeitigkeit der Elternschaft. Erschöpfung und Liebe. Heilung. Und Chaos.