Fotografien sammeln, heisst die Welt sammeln.

Die Politik der Fotografie

Susan Sontags spannende These, dass das Nachdenken über Fotografie eine eminent politische Angelegenheit ist, wirft ein spannendes Licht auf die Beziehung zwischen Bildern und Gesellschaft. In ihrem Werk „Über Fotografie“ legt sie dar, dass Fotografie nicht nur dazu dient, unsere Realität widerzuspiegeln, sondern auch aktiv daran beteiligt ist, unser Gewissen zu formen und zu beeinflussen.

Ein wichtiger Punkt in Sontags Argumentation ist die Idee, dass Fotografie sowohl zu einer Art Gleichgültigkeit als auch zum moralischen Aufschrei beitragen kann. Sie behauptet, dass die Masse an Bildern, die wir täglich konsumieren, dazu führt, dass wir uns an das Grauen gewöhnen, das uns präsentiert wird. Diese Gewöhnungseffekte können dazu führen, dass wir die Realitäten, die auf den Bildern dargestellt werden, weniger intensiv wahrnehmen und weniger empathisch darauf reagieren. Stattdessen können wir uns sogar an ästhetischen Genuss gewöhnen, indem wir die Komposition und Qualität der Bilder bewundern, während wir gleichzeitig die Tragödien und Leiden, die sie repräsentieren, ausblenden.

 

Bilder tragen für sie eine gewisse „ästhetische Doppelmoral“. Diesen Vorwurf macht Sontag nicht nur der Fotografie als Medium, sondern auch uns als Betrachtenden. Indem wir uns an die Bilder von Leid, Zerstörung oder marginalisierten Lebensrealitäten gewöhnen und sie sogar ästhetisch genießen, entfernen wir uns von der Realität, die sie darstellen, und verweigern uns möglicherweise auch einer Handlungsverantwortung.

Um Sontags Argument nachvollziehen zu können und es eben auch auf die dokumentarische Familienfotografie zu übertragen, sollten wir die Rolle der Fotografie in der modernen Gesellschaft genauer betrachten. Fotografie ist nicht nur ein Mittel zur Dokumentation von bestimmten Ereignissen, sondern auch ein machtvolles Werkzeug zur Konstruktion von Wissen und Erinnerung. Durch die Auswahl, Bearbeitung und Verbreitung von Bildern beeinflussen wir als, Fotograf*innen, Kunstschaffende oder bspw. Medienunternehmen, wie bestimmte Ereignisse und Themen wahrgenommen werden. Dieser Prozess ist nie neutral, sondern immer von sozialen, kulturellen und politischen Kontexten geprägt. Wer wird fotografiert? Wer fotografiert? Welche Bilder werden ausgewählt? Wer kann sich öffentlich zeigen? Wie wird bspw. Geburt und Wochenbett dargestellt? Wie wird die Mutterrolle verbildlich? Usw. …

 

In einer Welt, die von visuellen Reizen überflutet wird, ist es daher unerlässlich, dass wir uns bewusst machen, wie wir Bilder konsumieren und interpretieren. Wir sollten uns immer fragen, welche Geschichten und Perspektiven durch die Bilder, die wir sehen, präsentiert und welche möglicherweise vernachlässigt werden. Wir sollten versuchen, uns als Fotograf*innen als auch als Betrachtende mit einer bestimmten gesellschaftlichen Position immer miteinbeziehen. Unsere Reaktionen auf bestimmte Bilder sind immer von unseren eigenen Vorurteilen, Emotionen und Werten, dem Habitus, geprägt.

Fotografie kann dazu beitragen, Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeiten zu schaffen, indem sie uns mit den Realitäten konfrontiert, die wir möglicherweise ignorieren oder vergessen haben. Sie kann Empathie und Solidarität fördern, indem sie uns dazu bringt, uns mit den Menschen und Geschichten hinter den Bildern zu identifizieren. Und sie kann als Werkzeug für soziale Bewegungen dienen, indem sie die Stimmen der Marginalisierten sichtbar macht und Veränderungen fordert.

Fotografie zeigt auf, sieht hin und schaut weg.  Sie deckt Strukturen auf und reproduziert sie zugleich.  Sie ist immer für und wider.

 

Letztendlich zeigt Sontags Analyse, dass Fotografie nicht nur ein Medium der Kommunikation ist, sondern auch ein Medium der Macht und Kontrolle. Indem wir uns ihrer politischen Dimension bewusst werden und unsere Reaktionen darauf reflektieren, können wir dazu beitragen, eine Gesellschaft zu schaffen, die weniger von Apathie und mehr von Mitgefühl, Solidarität und Handlungsbereitschaft geprägt ist.

Susan Sontags Aussage „Fotografien sammeln heißt die Welt sammeln“ muss im Kontext ihres umfassenderen Diskurses über Fotografie betrachtet werden. Diese Aussage spiegelt ihre Überzeugung wider, dass Fotografie nicht nur ein Mittel zur Dokumentation von Ereignissen ist, sondern auch eine Möglichkeit, die Vielfalt und Komplexität der Welt einzufangen.

Indem wir Fotografien sammeln, sammeln wir nicht nur Abbilder von Objekten, Menschen und Landschaften, sondern auch Erinnerungen, Emotionen und Geschichten. Jedes Bild trägt eine einzigartige Perspektive und Bedeutung in sich, die es uns ermöglicht, einen Einblick in verschiedene Kulturen, Lebensweisen und Ereignisse zu erhalten. Durch das Sammeln von Fotografien können wir uns mit der Welt um uns herum verbinden, indem wir sie durch die Linse anderer betrachten und neue Einsichten gewinnen.

Darüber hinaus kann das Sammeln von Fotografien auch als eine Form der Bewahrung und Anerkennung der Vergangenheit verstanden werden. Fotografien haben die einzigartige Fähigkeit, Momente festzuhalten und Erinnerungen lebendig zu halten. Indem wir Fotografien sammeln, bewahren wir nicht nur diese Erinnerungen für uns selbst, sondern tragen auch zur Erhaltung des kulturellen Erbes und der kollektiven Geschichte bei.

In einem weiteren Sinne kann das Sammeln von Fotografien auch als eine Form der Selbstreflexion und Identitätsbildung betrachtet werden. Die Bilder, die wir wählen zu sammeln, sagen viel über unsere Interessen, Werte und Lebenserfahrungen aus. Indem wir uns mit Fotografien umgeben, die uns ansprechen und berühren, formen wir unsere persönliche visuelle Sprache und gestalten unsere individuelle Weltanschauung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Sontags Aussage „Fotografien sammeln heißt die Welt sammeln“ eine tiefgreifende Anerkennung der Bedeutung von Fotografie als Medium der Erforschung, Erinnerung und Selbstentdeckung ist. Indem wir Fotografien sammeln, öffnen wir uns für die Vielfalt und Schönheit der Welt und tragen gleichzeitig dazu bei, sie zu bewahren und zu schätzen.

 

Fotografien sammeln, heisst die Welt sammeln.

 

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